Albert und Helene Schweitzer-Bresslau legten 1913 mit der Gründung des «Urwaldspitals» in Äquatorialafrika, dem heutigen Gabun, den Grundstein für ein bemerkenswertes Lebenswerk.
 

«Wacker half meine Frau, die als Krankenpflegerin ausgebildet war, im Spital mit. Sie sah nach den Schwerkranken, verwaltete die Wäsche und die Verbandstoffe, betätigte sich in der Apotheke, hielt die Instrumente in Ordnung und bereitete alles für die Operationen vor, bei denen sie die Narkosen übernahm. Dass sie es fertigbrachte, den komplizierten afrikanischen Haushalt zu führen und daneben täglich noch einige Stunden für das Spital zu erübrigen, war wirklich eine Leistung.»

Albert Schweitzer

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Albert Schweitzer/Helen Breslau

Die Jahre vor Lambarene – Briefe 1902–1912

ISBN: 978-3-406-36788-5


Albert Schweitzer
Leben und Werke

  • 14. Januar 1875; Albert Schweitzer wird in Kaysersberg / Oberelsass als deutscher Staatsbürger geboren.

  • 1893; Studium der Theologie und Philosophie in Strassburg.

  • Pfingsten 1896; Entschluss zu einem Beruf menschlichen Dienens nach dem 30. Lebensjahr.

  • 1899; Promotion zum Doktor der Philosophie.

  • 1900; Promotion zum Doktor der Theologie. Vikar in der Kirche St. Nicolai in Strassburg.

  • 13. Oktober 1905; Mitteilung an Eltern und Freunde über die Absicht, Urwaldarzt zu werden. Beginn des Medizinstudiums.

  • 18. Juni 1912; Heirat mit Helene Bresslau (1879 – 1957).

  • 1913; Promotion zum Doktor der Medizin.

  • 21. März 1913; Albert und Helene verlassen Günsbach und kommen am 16. April in Lambarene an.

  • 1915; Lebenscredo «Ehrfurcht vor dem Leben» erstmals festgehalten.

  • 1917; Wird als deutscher Staatsbürger in der französischen Kolonie Äquatorialafrika nach Europa zurückgeführt und in Garaison (Pyrenäen) und St. Rémy (Provence) interniert.

  • 14. Januar 1919; Geburt der Tochter Rhena.

  • 21. Februar 1924; Zweite Reise nach Lambarene. Es folgen 12 weitere Reisen nach Lambarene.

  • 1927 – 36; Konzert- und Vortragsreisen in der Schweiz, Schweden, England und Dänemark. Geldmittelbeschaffung für einen neuen Aufenthalt in Lambarene.

  • 28. August 1928; Goethepreis der Stadt Frankfurt.

  • 1949; Reise nach Amerika und Rede zum 200. Geburtstag von Goethe in Aspen, Colorado.

  • 1953; Friedensnobelpreis rückwirkend für das Jahr 1952.

  • 23. April 1957; Erster Appell gegen die Atomrüstung über Radio Oslo.
    22. Mai; Frau Helene verlässt Lambarene und stirbt am 1. Juni in Zürich.

  • 9. Dezember 1959; 14. und letzte Reise nach Lambarene.

  • 4. September 1965; Albert Schweitzer stirbt vor Mitternacht 90-jährig und wird am folgenden Tag neben dem Grab seiner Frau beigesetzt.

Albert Schweitzer
 

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Albert Schweitzer

Aus meiner Kindheit und Jugendzeit

ISBN: 978-3-406-68385-5


Albert Schweitzer
Biographie lang

1875Am 14. Januar Geburt in Kaysersberg. Im Juli zieht die Familie nach Günsbach, wo der Vater Louis Schweitzer bis zu seinem Tode 1925 Pfarrer ist.
1880–1884Volksschule in Günsbach.
1884–1885Realschule in Münster.
1885Während acht Jahren besucht er das Gymnasium in Mülhausen. Studium der Orgel bei Eugen Munch.
1890Konfirmation in Mülhausen.
1893Am 18. Juni besteht er das deutsche Abitur. Im Oktober unternimmt er seine erste Reise nach Paris zu seinen beiden Onkeln August und Charles Schweitzer. Erste Begegnung mit dem Organisten Charles Marie Widor. Beginn des Studiums in Theologie und Philosophie.
1894–1895Militärjahr beim Infanterieregiment 143 in Strassburg.
1896Er fasst an Pfingsten den Entschluss zu einem «unmittelbaren menschlichen Dienen» nach dem 30. Lebensjahr.
1898Im Mai besteht er sein erstes theologisches Examen. Ab Oktober weilt er für sechs Monate in Paris und studiert Orgel bei Widor und Klavier bei Isidore Philippe und Marie Jaël-Trautmann.
1899Von Mai bis Juli Studien in Berlin. Am 2. August macht er den Doktor in Philosophie. Ab 1. Dezember Lehrvikar an der St. Nicolai-Kirche in Strassburg.
190015. Juli: Zweites theologisches Examen. Am 24. Juli erhält er den Doktor der Theologie.
Ab 14. November ist er Vikar an St. Nicola.
1901Er publiziert seine Dissertation «Kritische Darstellung unterschiedlicher neuerer historischer Abendmahlsauffassungen».
1902Unterrichtet an der theologischen Fakultät in Strassburg. Auf Anregung Widors beginnt er mit der Niederschrift von «J. S. Bach, le musicien-poète». Das Werk erscheint 1905.
1903Am 1. Oktober wird er Direktor des Seminars St. Thomas in Strassburg (bis Oktober 1906).
1905Er hält sich regelmässig in Paris auf und ist eines der aktivsten Mitglieder der durch seinen Freund G. Bret in Paris gegründeten «Bachgesellschaft».
Im Oktober teilt er seinen Verwandten und Freunden mit, dass er sich entschlossen hätte, Arzt in Äquatorialafrika zu werden und daher Medizin zu studieren. Zwischen 1905 und 1912 ist er, nebst seinem Medizinstudium, in seinen drei Hauptgebieten Theologie, Philosophie und Musik äusserst aktiv und veröffentlicht mehrere Bücher.
1911Im Oktober macht er sein medizinisches Staatsexamen. Am 17. November schliesst er die medizinischen Prüfungen ab.
1912Im Mai zieht er sich sehr erschöpft nach Günsbach zurück. Er muss seine erste Ausfahrt nach Afrika um 10 Monate verschieben. Am 18. Juni heiratet er Helene Bresslau.
1913Im Februar promoviert er zum Doktor der Medizin mit der Dissertation «Die psychiatrische Beurteilung Jesu».
Am 21. März Abfahrt in Günsbach und am 16. April Ankunft in Lambarene, wo er zusammen mit seiner Frau das erste Spital auf der Missionsstation von Andende aufbaut.
1914Zwischen dem 5. August und Ende November werden Schweitzers wegen des Krieges in Europa als deutsche Staatsbürger von schwarzen Soldaten bewacht. Danach kann Schweizer seine Tätigkeit als Arzt wieder aufnehmen, wobei er grosse Schulden machen muss. Daneben arbeitet Schweitzer an seiner Kulturphilosophie.
1915Er findet auf einer Reise auf dem Ogowe den Begriff «Ehrfurcht vor dem Leben».
1916Am 3. Juli wird seine Mutter Adele von einem scheuenden Militärpferd überrannt und stirbt.
1917Schweitzers werden als Internierte nach Frankreich überführt, zuerst neun Tage in eine Kaserne in Bordeaux und dann ins Lager für Zivilinternierte nach Garaison in den Pyrenäen gebracht.
1918Am 27. März kommen sie in ein Lager in Staint-Rémy de Provence. Am 8. August Rückkehr über die Schweiz ins Elsass. Am 1. September wird Schweitzer zum ersten Mal in Strassburg operiert.
Ab dem 1. Oktober wird er Assistent an der Dermatologischen Klinik des Bürgerspitals in Strassburg und Vikar an St. Nicolai.
191914. Januar: Geburt seiner Tochter Rhena. Im Sommer folgt eine weitere Operation. Im Herbst gibt er zwei Orgelkonzerte in Barcelona. Am 23. Dezember erhält er eine Einladung nach Schweden.
1920Frühling-Sommer: Erfolgreiche Tournee mit Vorträgen und Konzerten in Schweden auf Einladung des schwedischen Erzbischofs Soederblom in Uppsala. Mit diesen Einkünften kann er seine Schulden abzahlen und auf eine Rückkehr nach Lambarene hoffen.
Die Universität Zürich ernennt ihn zum Ehrendoktor und bietet ihm kurze Zeit später eine Professur an, die er jedoch zu Gunsten seines Werkes in Lambarene ausschlägt.
1921Im April zieht er mit seiner Familie zu seinem Vater ins Pfarrhaus von Günsbach. Er vervielfacht seine Konzert- und Vortragstätigkeit. Im Herbst weilt er in der Schweiz und in Schweden.
1923Vortragszyklus in Prag. Er führt wegen seiner Rückkehr nach Afrika schwierige Gespräche mit der «Evangelischen Missionsgesellschaft» in Paris.
Helene zieht mit Rhena nach Königsfeld im Schwarzwald, wo Schweitzer ein Haus für seine seit der Internierung an Tuberkulose erkrankte Frau bauen liess. Sie muss auf die geplante Ausreise nach Lambarene verzichten.
1924Am 21. Februar Abfahrt von Bordeaux zusammen mit Noël Gillespie, Student der Chemie und Geologie aus Oxford. Am 19. April Ankunft in Lambarene. Im Juli trifft die Krankenpflegerin Mathilde Kottmann ein, im Oktober der Arzt Victor Nessmann.
1925Dr. Marc Lauterburg trifft in Lambarene ein und am 10. Oktober 1925 kommt die zweite Pflegerin, Emma Haussknecht. Wegen Platzmangels entschliesst sich Schweitzer, drei Kilometer flussaufwärts ein neues Spital zu bauen.
Am 5. Mai stirbt in Günsbach sein Vater.
1927Am 21. Januar wird das Spital von Andende an den heutigen Standort gezügelt. Am 21. Juli Rückkehr nach Europa. Im Herbst Vortragsreisen nach Schweden, Dänemark und Deutschland.
1928Im Frühling Konzert- und Vortragsreisen durch die Niederlande und Dänemark.
Am 28. August verleiht ihm die Stadt Frankfurt den Goethe-Preis. Dieser erlaubt ihm, in Günsbach ein Haus zu bauen, das, verwaltet von Frau Emmy Martin, bald die europäische Zentrale seiner Aktivitäten wird. Während des Herbstes und Winters unternimmt er Vortrags- und Konzertreisen in der Schweiz, in Deutschland und in der Tschechoslowakei.
1929Am 26. Dezember kommt er zusammen mit seiner Frau in Lambarene an. Der schlechte Gesundheitszustand zwingt Schweitzer's Frau nach drei Monaten bereits zur Rückkehr nach Europa.
1932Im Januar Rückkehr nach Europa mit Vorträgen und Konzerten in Deutschland, den Niederlanden, England und Schottland. Am 22. März hält er in Frankfurt die offizielle Gedenkrede zum 100. Todestag Goethes.
1933Im März: vierte Ausreise nach Lambarene.
1934Rückkehr nach Europa im Januar. Im Oktober hält er philosophische Vorträge in Schottland.
1935Im Februar: fünfte Ausreise nach Lambarene für sechs Monate. Ab August Aufenthalt in England.
1936Im April und Mai 21 Konzerte in der Schweiz.
1937Im Januar sechste Ausreise nach Lambarene für ein Jahr.
1939Im Januar weilt Schweitzer für 12 Tage in Europa, um seine Angelegenheiten zu regeln und seine Medikamentenvorräte zu ergänzen. Den bevorstehenden Weltkrieg erachtet er leider als unabwendbar. Sein siebenter Aufenthalt in Lambarene dauert fast 10 Jahre.
1940Im Oktober und November kommt es in der Gegend von Lambarene zu Kämpfen zwischen den Vichy-Truppen und den freien französischen Kräften. Das Spital ist neutral und es werden die Verletzten beider Parteien gepflegt.
1941Helene Schweitzer-Bresslau gelingt es, über Portugal und Angola nach Lambarene zu kommen.
1942Die USA und Schweden versorgen das Spital in Lambarene mit Medikamenten und Nahrungsmitteln und garantieren so die Weiterführung der Arbeit.
1946Helene Schweitzer kehrt nach Europa zurück.
1948Am 24. Oktober kommt Albert Schweitzer in Bordeaux an.
1949Im Juli unternimmt Schweitzer zusammen mit seiner Frau eine Reise in die USA, wo er in Aspen/Colorado eine Gedenkrede zum 200. Geburtstag von Goethe hält.
Am 24. Oktober achte Ausreise nach Lambarene zusammen mit seiner Frau Helene bis im Juni 1950.
1950Mit dem Geld der Goethe-Rede von Aspen beginnt er mit dem Bau eines Lepradorfes.
1951Im Mai Rückkehr nach Europa. Im September erhält er in Frankfurt den «Friedenspreis des deutschen Buchhandels». Am 3. Dezember wird er als Nachfolger von Marschall Pétain zum Mitglied der «Académie des Sciences morales et politique» gewählt.
Ende Dezember: neunte Ausfahrt für sieben Monate nach Lambarene.
1952Paracelsus-Medaille (D), Prinz-Carl-Medaille (Schweden). Am 10. November zehnte Ausfahrt nach Lambarene.
1953Am 30. Oktober erhält er rückwirkend den Friedensnobelpreis für das Jahr 1952. Das Preisgeld ermöglicht ihm die Fertigstellung «du Village lumière».
1954Im Mai Rückkehr für sechs Monate nach Europa. Am 4. November hält er anlässlich der Übergabe des Nobelpreises in Oslo seine Rede über «Das Problem des Friedens in der heutigen Welt». Er wird Ehrenmitglied der amerikanischen «Academy of Art and Sciences». Im Dezember elfte Ausfahrt nach Lambarene.
1955Zu seinem 80. Geburtstag am 14. Januar erhält er viele Auszeichnungen und Ehrenbezeugungen aus der ganzen Welt. Einweihung des Lepradorfes.
Juni-November: Aufenthalt in Europa. Reisen nach Paris, England, Deutschland und der Schweiz. Im Dezember zwölfte Ausfahrt nach Lambarene zusammen mit seiner Frau Helene.
195723. April: Aufruf über Radio Oslo über «Das Problem der Atombombe». Ende Mai kehrt Schweitzer's Frau mit dem Flugzeug nach Europa zurück. Am 1. Juni stirbt sie in Zürich im Alter von 79 Jahren. Im August weilt Schweitzer für vier Monate in Europa. Im Dezember dreizehnte Ausfahrt nach Lambarene.
1958April: Drei neue Radioreden über die Gefahren der Atombombe, ausgestrahlt von Radio Oslo. Diese Reden werden als Buch «Friede oder Atomkrieg» veröffentlicht.
1959Ende August: Rückkehr nach Europa für drei Monate. Reisen in die Schweiz, nach Dänemark, Schweden, Deutschland, Belgien und Holland.
Im November weilt er für drei Wochen in Paris. Vierzehnte und zugleich letzte Ausfahrt nach Lambarene.
196514. Januar: Sein 90. Geburtstag wird gefeiert.
Ende August lassen seine Kräfte rasch nach und Albert Schweitzer stirbt am 4. September um 23.30 Uhr. Am nächsten Tag wird er um 15 Uhr neben seiner Frau auf dem Friedhof in Lambarene beigesetzt.
Albert Schweitzer

Der Musiker

Schon mit fünf Jahren fing Albert Schweitzer mit dem Klavierspielen an. Sobald er mit seinen Füssen die Pedale bedienen konnte, lernte er das Orgelspielen. Mit neun Jahren durfte er das erste Mal den Organisten während eines Gottesdienstes vertreten.
 

In seiner Gymnasialzeit in Mühlhausen setzte er sein Orgelstudium bein Eugen Munch fort, der ihm vor allem Johann Sebastian Bach näher brachte.
 

Mit 18 Jahren ermöglichte ihm seine Tante Mathilde in Paris ein Vorspielen beim berühmten Komponisten und Organisten von St. Sulpice, Charles Marie Widor. Entgegen seiner Gewohnheit nahm Widor Schweitzer als Schüler an.
 

Albert Schweitzer gab seinem Lehrer eine Einführung in die Choräle von Johan Sebastian Bach, was diesen veranlasste, Schweitzer um einen Artikel über das Thema für die französischen Organisten zu schreiben. Statt eines Artikels verfasst er eine französische Biographie «J. S. Bach» (1904). Auf Drängen von Freunden, schrieb er eine umfangreichere Biographie in deutsch, die noch heute als Standartwerk gilt.
 

Besonders war ihm auch der Schutz alter Silbermannorgeln ein Anliegen und er errettet im Laufe von vielen Jahrzehnten manche Orgel, oft sehr zum Unmut der Organisten, vor der Zerstörung.
 

In den Dreissiger- und Fünfigerjahren nahm er mit Columbia mehrere Platten auf. Diese sind heute als CD unter dem Titel: «Albert Schweitzer - der Organist» erhältlich und lassen jeden hören, warum Schweitzer als einer der eindrücklichsten Organisten seiner Zeit gilt.

Kritik an Albert Schweitzer

Die Kritik an Albert Schweitzer in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens kam von drei Seiten:

  1. Aus Regierungskreisen in den USA wegen Schweitzers Widerstand gegen die Atombombenversuche, 1957 und 1958.

  2. Aus Kreisen der jungen, modernen afrikanischen Intellektuellen, u. a. in der Zeitschrift «Jeune Afrique», 1962 und in dem Film «Le grand Blanc», 1995.

  3. Aus Kreisen der Militärärzte aus den früheren französischen Kolonien, am Beispiel von Dr. André Audoynauds Buch « Doktor Schweitzer und sein Spital in Lambarene. Die Kehrseite eines Mythos », 2005.


Der Arzt Ary van Wijnen hat in seinem interessanten Artikel die obengenannten Punkte aufgenommen und aus seiner Sicht widerlegt:

Der erste Punkt fusst auf dem Artikel «Blacklisting Schweitzer», Seite 55 ff, von Prof. Lawrence S. Wittner, im Bulletin of the Atomic Scientist Nr 51 vom Mai 1995.

Albert Schweitzers Engagement
gegen die Atombomben

Zum ersten Male äusserte Albert Schweitzer seine Besorgnisse über den Gebrauch von Atombomben in einem Brief, der am 14. April 1954 im „Daily Herald“ in London erschien. Nur eine deutsche Zeitung wagte, den damals aufsehenerregenden Brief im vollen Wortlaut zu übernehmen.

In seiner Rede anlässlich der Übergabe des Friedensnobelpreises vom 4. November 1954 in Oslo, äusserte sich Schweitzer ein weiteres Mal zur Gefahr der Atombomben.

Von vielen Freunden und bekannten Wissenschaftlern, darunter dem am 18. April 1955 verstorbenen Albert Einstein, wurde Schweitzer immer mehr gedrängt, öffentlich gegen die Atombombe und die Atomtests zu protestieren. Namhafte Wissenschaftler waren der Meinung, dass das Renommee Schweitzers helfen könnte, die Weltöffentlichkeit auf das Problem der nuklearen Verseuchung und der davon ausgehenden Gefahr für die Menschen aufmerksam zu machen.


Schweitzer selber fühlte sich dazu nicht berufen. Zudem weigerte er sich, zu politischen Problemen Stellung zu nehmen und für einzelne Seiten Partei zu ergreifen. Doch seit Beginn der ersten Wasserstoffbombentests 1954, begann sich Schweitzer intensiv mit den wissenschaftlichen und politischen Aspekten der atomaren Tests und Bewaffnung auseinanderzusetzen. Robert Jungk schrieb dazu: "Fast jeder, der in den Jahren zwischen 1954 und 1957 mit Albert Schweitzer privat zusammentraf, wurde von ihm intensiv über die 'Atomgefahr' ausgefragt".


Anfangs Januar 1957 besuchte ihn der bekannte Publizist Norman Cousins zusammen mit der Fotografin Clara Urquhart in Lambarene. Den beiden gelang es, Schweitzer von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass er sich für den Kampf gegen die Atombombe einsetzen müsse. Er äusserte Bedenken hinsichtlich seiner Kompetenz in der Atomfrage und zweifelte ernsthaft, ob eine Äusserung von ihm irgendeinen Einfluss haben könnte.


Darauf schrieb Schweitzer einen Brief an den amerikanischen Präsidenten Dwight Eisenhower: „... Wir teilen beide die Überzeugung, dass die Menschheit einen Weg finden muss, um die Waffen zu kontrollieren, die das Leben auf der Welt bedrohen. ... ich hoffe, dass es uns beiden vergönnt sein wird, den Tag zu erleben, an dem die Leute auf der Welt erkennen werden, dass das Schicksal der ganzen Menschheit aufs Spiel gesetzt wird und dass es dringend notwendig ist, eine klare Entscheidung zu treffen, welche angemessen mit der quälenden Situation umgehen kann, in der die Welt sich zur Zeit selber befindet. “

Am 23. April 1957 liess Schweitzer über Radio Oslo seinen „Appell an die Menschheit“ verbreiten. Der Aufruf wurde von etwa 140 weiteren Radiostationen übernommen. Vielen Sendern - im Osten wie im Westen - wurde dies allerdings verboten.
 

Schweitzer suchte immer mehr Material über die Atomwaffen zusammen und korrespondierte mit bekannten Wissenschaftlern und Freunden, wie Bertrand Russell, Pablo Casals, Norman Cousins.
 

Am 14. Januar 1958, dem 83. Geburtstag von Schweitzer, übergab der Chemiker und Nobelpreisträger Linus Pauling der UNO in New York eine von 9236 Wissenschaftlern, darunter auch von Schweitzer, unterschriebene Resolution, mit der Forderung, einen Atomteststopp-Vertrag zu veranlassen.
 

In der Zwischenzeit hatte Schweitzer drei weitere Appelle vorbereitet, deren Manuskripte von Gunnar Jahn, dem Präsidenten des norwegischen Nobelpreiskomitees, vorgelesen wurden. Die Radioausstrahlungen fanden am 28., 29. und 30. April 1958 über Radio Oslo statt und fanden weltweit ein grosses Echo:
 

„Verzicht auf Versuchsexplosionen“,  „Die Gefahr eines Atomkrieges“,  „Verhandlungen auf höchster Ebene“.
 

Die drei Reden erschienen im selben Jahr im Verlag C. H. Beck in München unter dem Titel „Friede oder Atomkrieg“ und wurden auch in unzähligen andern Sprachen veröffentlicht.

Schweitzer wurde von vielen Zeitungen, Regierungen aber auch Freunden aufs schärfste angegriffen. Die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb am 10. September 1958 unter dem Titel "Seltsamer Albert Schweitzer": "Der verehrte Name Albert Schweitzers darf nicht davon abhalten, festzustellen, dass dieses Dokument politisch und philosophisch, militärisch und theologisch wertlos ist. Das Wagnis, das er dem Westen zumutet, ist an sich schon ungeheuerlich. Das Urteil über Amerika und die Sowjetunion anderseits macht es vollends unmöglich, Albert Schweitzers Rat ernsthaft in Erwägung zu ziehen."

Auf eine Ankündigung der UdSSR sagten auch die Amerikaner und Engländer zu, dass sie die Atomtests auf den 31. Oktober 1958 stoppen würden. Als die drei über Atombomben verfügenden Staaten mit den Tests aufhörten, führten die Franzosen am 13. Februar 1960 in der Sahara ihren ersten Atomtest durch, um auch eine Atommacht zu werden.

Das Teststopp-Moratorium hielt 34 Monate, und dann begannen die Russen im August 1961 mit neuen Tests, so dass sich auch die Amerikaner nicht mehr an das Moratorium gebunden fühlten. Eine Protestwelle brach los, allen voran meldete sich Linus Pauling am 31. August mit einer Presseerklärung.

Am 20. April 1962 schrieb Schweitzer Präsident Kennedy einen Brief als einem, der sich selber während langer Zeit mit dem Problem der Atomwaffen und dem Problem des Friedens auseinandergesetzt habe“. Er vertrat die Meinung, „dass Abrüstung unter einer wirkungsvollen internationalen Kontrolle“ das wichtigste Ziel und die dahingehenden Bemühungen nicht „... abhängig von unnötigen Appellen zu internationalen Überprüfungen der Nichtweiterführung der Tests“ gemacht werden sollen. Dann hatte er den Mut, den Präsidenten auf etwas aufmerksam zu machen, „das auch Sie selber betrifft“,  die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung auf das menschliche Erbgut. Er schloss den Brief mit dem Satz: „Es war für mich nicht leicht, Ihre Aufmerksamkeit auf die grosse Verantwortung zu ziehen, die Sie gegenüber künftigen Generationen haben. Bitte, vergeben Sie mir; Ich konnte nicht anders handeln, nicht nur der Menschheit zuliebe, sondern auch aus Überlegungen Ihnen gegenüber.

Zu Ostern 1962 veröffentlichte "Das Gewissen" in München den ersten grossen gemeinsamen Aufruf von internationalen Atomgegnern gegen die neuerlichen Tests in Ost und West.

Die aufkommende Kubakrise im Oktober 1962 verunsicherte die ganze Welt. Mitten in der Krise schrieb Schweitzer an Norman Cousins, „dass die Zeit für diejenigen arbeitet, die die Atomwaffen abschaffen wollen“. Als er vernahm, dass die Amerikaner eventuell die Atombomben zur Lösung der Krise einsetzen könnten, verfasste er einen offenen Brief an den amerikanischen Verteidigungsminister McNamara. Er ersuchte Cousins, in Amerika eine Zeitung zu suchen, die den Brief veröffentlichen würde. Nachdem die Krise vorbei war, fand Cousins, dass die Taktik zu ändern sei und der offene Brief gegen den Verteidigungsminister nicht das richtige Mittel sei. Schweitzer insistierte: „Wir können nicht aufhören, McNamara aufs schärfste öffentlich zu kritisieren, dass er angekündigt hat, dass er Atombomben benützen würde“.

Atomteststopp-Vertrag

Eine neue Abrüstungskommission der UNO begann im März 1962 mit den Vorbereitungen zu einem Atomteststopp-Abkommen. Präsident Kennedy gab in einer Rede am 10. Juni 1963 bekannt, dass die USA alle Atomtests stoppen würden, und dass Premierminister Chruschtschow zugestimmt hatte, die Verhandlungen für ein Teststopp-Abkommen zu intensivieren. Die Verhandlungen begannen am 15. Juli in Moskau und fanden am 25. Juli mit einem Teilstopp-Abkommen ihren Abschluss. Es verbot alle Kernwaffenversuche in der Atmosphäre und unter Wasser mit Ausnahme der unterirdischen Versuche. Der Vertrag wurde am 5. August in Moskau unterzeichnet und trat am 10. Oktober 1963 in Kraft.

Schweitzer schrieb an Präsident John F. Kennedy:
«Ich schreibe Ihnen, um Sie zu beglückwünschen und Ihnen zu danken, dass Sie den Weitblick und Mut besassen, eine Politik zum Weltfrieden einzuleiten. Endlich wird ein Lichtstrahl in der Dunkelheit sichtbar, in der die Menschheit ihren Weg suchte, und gibt uns die Hoffnung, dass die Dunkelheit dem Licht weichen wird.
Der Vertrag zwischen dem Osten und dem Westen über den Verzicht auf Kernwaffenversuche in der Atmosphäre und unter Wasser ist eines der grössten, vielleicht das grösste Ereignis in der Weltgeschichte. Es gibt uns die Hoffnung, dass der Krieg mit Atomwaffen zwischen Ost und West vermieden werden kann.
Als ich von dem Moskauer Vertrag hörte, dachte ich an meinen Freund Einstein, mit dem ich im Kampf gegen die Atomwaffen verbunden war. Er starb in Princeton in Verzweiflung.
Und ich bin in der Lage zu beobachten, dass - dank Ihres Weitblicks und Mutes - die Welt den ersten Schritt auf dem Wege zum Frieden getan hat. Nehmen Sie, Herr Präsident, die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung an, Ihr ergebener Albert Schweitzer.»

Ende 1964 besprach Albert Schweitzer in Lambarene eine Schallplatte unter dem Titel "Mein Wort an die Menschen". Er fasste den Inhalt seines Lebens und seiner "Ehrfurcht vor dem Leben" zusammen. Gleichzeitig erneuerte er seine Appelle von Oslo gegen das Wettrüsten und die Atomwaffen.


Bis zum Tode von Albert Schweitzer Ende 1965 wurden total 646 Kernwaffenversuche durch fünf Staaten durchgeführt, 403 durch die USA, 200 durch die UdSSR, 25 durch Grossbritannien, 16 durch Frankreich und zwei durch China. Bis Ende 1986 wurden weltweit 1662 Atomexplosionen durch sechs Länder (inklusive Indien) bekannt. Die Zahl der Atomwaffen wird auf mindestens 50'000 geschätzt.

Wo stehen wir heute?

Nach einem langen Unterbruch nahm Frankreich seine unterirdischen Atomversuche auf dem Mururoa-Atoll im Jahre 1995 wieder auf. Viele Organisationen, darunter auch die AISL, protestierten und forderten den französischen Staatspräsidenten Chirac in offenen Briefen auf, die Versuche sofort abzubrechen. Weitere Proteste galten China, das in dieser Zeit auch Atomwaffentests durchführte.

Die „Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (International Physicians for the Prevention of Nuclear War, IPPNW) setzen sich seit ihrer Gründung 1980, ganz im Sinne von Albert Schweitzers „Ehrfurcht vor dem Leben", für die Verhinderung eines Atomkrieges ein. Für ihre Arbeit erhielten sie 1984 den UNESCO-Friedenspreis und 1985 den Friedensnobelpreis.

Albert Schweitzer
Albert Schweitzer
In Günsbach
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Albert Schweitzer am Schreibtisch in Strassburg
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Katze Sisi
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